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ALTA BADIA

JUNGFRAU, DIE ENTDECKUNG DER ÜPPIGEN LEERE

Zwischen Gletschern und Gipfeln mit Ski und Fellen

von Umberto Isman

Alpiniste, ski-alpiniste, randonneur et cycliste passionné, Umberto Isman passe son temps libre à chasser des rêves d'haute altitude. Photographe expert, avec son objectif il parvient à capturer les moments les plus intimes de la relation entre l’homme et la montagne. Collaborateur de nombreux magazines spécialisés, il raconte la montagne à travers des images et des mots, en l’expérimentant personnellement.

Ein italienisch-schweizerischer, ehemaliger Radrennfahrer, ein Bergführer und ambitionierter Skibergsteiger aus dem Aostatal und eine talentierte und vielversprechende Alpinistin aus dem Berner Oberland, Schweiz, beschließen, zusammen mit einem Videofilmer und einem Fotografen zum längsten Gletscher der Alpen aufzubrechen: dem Aletschgletscher.


Aber lassen wir nun den Spaß beiseite und kehren zu den Fakten zurück. Es handelt sich dabei namentlich um: Andrea Peron, Denis Trento, Nadine Grossnicklaus, Ruggero Arena und Umberto Isman.
Am einfachsten erreicht man den Aletschgletscher mit der Jungfraubahn, die seit 1912 die Fahrgäste zur höchstgelegenen Eisenbahnstation Europas, dem Jungfraujoch auf 3454 Metern, bringt. Der Zug ist aber auch ein Spiegelbild der Gesellschaft und zeigt deren Vielfalt in Bezug auf die Nationalität und den Zweck der Fahrt. Man muss nämlich aufpassen, dass man mit seinen Skitourenschuhen nicht auf die Flip-Flops der indischen Touristen tritt, die zu den Drehorten einiger Bollywood-Filme pilgern. Und vielleicht triffst du dort ein asiatisches Kind, das sich einen Schneeball in seine Tasche steckt, um ihn seinem Cousin mitzubringen. Beim Verlassen des Bahnhofs erwarten den Besucher eine Vielzahl von Eindrücken, von den Düften des indischen Restaurants bis hin zu den Multimedia-Installationen - fast ein letztes Aufbäumen der Zivilisation, bevor man in die Weite und Einsamkeit der Gletscher und Berggipfel eintaucht. Und dort findet allmählich wieder jeder seinen richtigen Platz, auf einem Weg durch den Schnee, der bald die Flip-Flop-Träger abschreckt, diejenigen mit Bergschuhe belohnt und schließlich die Skitourengeher zufrieden in ihre Lieblingsumgebung entlässt.

IM REICH DER SKITOURENFELLE

Wir, die Gruppe der Spaßvögel, beschließen, sofort den Südwestgrat des Mönch anzupeilen, einen der wenigen Viertausender, die man vom Tal aus in einem Tag erreichen kann. Nach einem schnellen Wechsel der Ausrüstung legen wir unsere Klettergurte an und wählen aus unserem umfangreichen Equipment die Bekleidung aus, die für diese Bedingungen und für die geplanten Fotos und Videos am besten geeignet scheint. Die Arbeit des Fotografen (das bin ich selbst) und des Kameramanns (Ruggero) in einer solchen Umgebung erfordert die ständige Berücksichtigung verschiedener Faktoren und Kriterien: Sicherheit steht an erster Stelle. Dann müssen wir es schaffen, uns mit den Athleten gemeinsam zu bewegen, um gute Aufnahmen machen zu können. Und schließlich müssen wir uns mit den unzähligen technischen und kompositorischen Variablen der Bilder selbst befassen.

Kenntnis der Drehorte und ein gutes Gedächtnis sind ebenfalls wichtig. In diesem Fall zähle ich auf mein gutes Erinnerungsvermögen, denn ich komme zwar schon seit Mitte der 80er Jahre in diese Region, aber das letzte Mal war ich vor elf Jahren hier, auf dem Gipfel des Mönch, um genau zu sein. Ich erkenne ihn allerdings kaum wieder. Der Gletscher am Fuße des Bergrückens ist wesentlich geschrumpft und ein steiler, felsiger Abschnitt am Anfang macht den Einstieg noch anspruchsvoller. In der Tat hat auch unser fortschreitendes Alter und unsere langjährige Bergerfahrung damit zu tun, dass wir so deutlich wahrnehmen, wie sich der Zustand der Gletscher verschlechtert. Ich werde mich damit abfinden müssen. Wir steigen weiter angeseilt auf, bis der Grat zu einem schmalen Band zwischen zwei Kantonen wird: dem Wallis und dem Berner Oberland. Wir gehen lieber nicht hinüber. Auf dem Gipfel angekommen, machen wir kehrt und steigen ab, nachdem Ruggero seine Drohne noch an einer exponierten Stelle zum Fliegen gebracht hat. Am Fuße des Grats nehmen wir die Ausrüstung, die wir zurückgelassen und vor den diebischen Alpendohlen geschützt haben, die in diesen Höhen oft das Essen anderer stehlen, wieder an uns.

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Die Berghütte wartet bereits auf uns. Sie heißt Mönchsjochhütte, ein kleiner Zungenbrecher für alle, die nicht von hier sind. Es handelt sich um ein modernes Hüttengebäude, das auf den aus dem Gletscher ragenden Felsen thront und gleichzeitig, so wirkt es, an ihnen hängt. Die Organisation im Inneren der Hütte ist sehr deutsch, akkurat und zweckmäßig. Die Uhrzeiten sind genau geregelt und daran lässt sich auch nichts ändern; das gilt für die Frühstückszeit und somit auch für die Abmarschzeit am Morgen.


Als wir schließlich am Tisch sitzen, lernen wir uns zwischen den einzelnen Gerichten kennen. Andrea kenne ich bereits, Denis habe ich schon einmal getroffen und die beiden anderen sind neue, bereichernde Bekanntschaften. Wir scheinen bereits ein eingespieltes Team zu sein, es herrscht eine Dynamik, die uns gut vertraut ist. Allerdings erfahren wir, dass der geplante Aufstieg zur Jungfrau nicht machbar ist. In diesem niederschlagsarmen Winter hat es ausgerechnet in den vergangenen Tagen heftig geschneit, und das Spuren an den steilen Hängen der Jungfrau ist immer noch zu gefährlich. Wir entscheiden uns daher für einen niedrigeren Gipfel mit 3.658 m Höhe, den Louwitor (seinen Namen habe ich erst jetzt auf der Karte entdeckt). Er liegt südlich der Jungfrau und von dort können wir auf der anderen Seite abfahren.

Aber das letzte Mal war ich vor elf Jahren hier, auf dem Gipfel des Mönch, um genau zu sein. Ich erkenne ihn allerdings kaum wieder. Der Gletscher am Fuße des Bergrückens ist wesentlich geschrumpft und ein steiler, felsiger Abschnitt am Anfang macht den Einstieg noch anspruchsvoller. In der Tat hat auch unser fortschreitendes Alter und unsere langjährige Bergerfahrung damit zu tun, dass wir so deutlich wahrnehmen, wie sich der Zustand der Gletscher verschlechtert. Ich werde mich damit abfinden müssen. 

So verlassen wir am nächsten Morgen kurz vor Sonnenaufgang die Hütte und gleiten mit den Ski die sanften Hänge des Jungfraufirn hinunter. Genau genommen befinden wir uns an der Spitze des Aletschgletschers, der sich von hier aus über 20 Kilometer weit nach Südosten erstreckt, mit einer maximalen Eisdicke von etwa 900 Metern, was immer noch ein gutes Zeichen für sein Weiterbestehen ist.

Denis führt die Gruppe mit seiner großen Erfahrung an. Es gibt zwar keine besonderen Schwierigkeiten, aber wir befinden uns immer noch auf einem massiven Gletscher, und es ist besser, angeseilt zu bleiben. Wir umfahren eine Reihe großer Seracs und tiefer Gletscherspalten - perfekte Kulissen für Fotos. Das Tempo entspricht sicherlich nicht Denis üblicher Geschwindigkeit. Seine Siege bei der Mezzalama, der Pierra Menta und den Weltmeisterschaften im Skibergsteigen sowie seine großartigen Leistungen im Hochgebirge und seine extremen Abfahrten haben wenig mit dem zu tun, was wir hier unternehmen, aber er ist zum ersten Mal in dieser Region und wir bemerken, dass er diese Umgebung mit anderen Augen wahrnimmt als wir, und er gedanklich eher in der Zukunft ist als im Hier und Jetzt.

Nadine hingegen ist trotz ihres jungen Alters von nur etwas über 20 Jahren die Gastgeberin, die uns in ihren Bergen willkommen heißt. Sie erklärt uns die gesamte Beschaffenheit des Gebiets und erzählt uns von den schier unendlichen Möglichkeiten des Skibergsteigens. Da sie zurück zur Arbeit muss, wird sie sich nach der Abfahrt von uns verabschieden, wieder auf den Gletscher steigen und ins 2.000 Höhenmeter tiefer gelegene Lötschental abfahren, wo sie dann erst den Bus und dann den Zug nach Hause nehmen wird. In etwa so, wie wenn ich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nach Mailand fahre. Und so geschieht es dann auch: Wir fahren hinunter zum Aletschfirn ab, verabschieden uns von ihr und bitten sie, uns wenigstens eine Nachricht zu schicken, wenn sie zuhause angekommen ist.

DIE LETZTE ABFAHRT

Nun sind wir nur noch zu viert und teilen uns weiter auf: Denis und Andrea, die sich nicht bremsen lassen, beschließen, zum Konkordiaplatz zu gehen, dann weiter zur Grünhornlücke und danach zur Konkordia-Hütte zurückzukehren, während Ruggero und ich mit dem ursprünglichen Plan zufrieden sind, nämlich direkt vom Konkordiaplatz zur Hütte aufzusteigen.

Der Konkordiaplatz ist die eisige und sogar deutlich größere Version der Place de la Concorde in Paris, deren Namen er trägt. Es handelt sich um eine riesige weiße, ebene Fläche und ist der Zusammenfluss von fünf Gletschern, auf der, so heißt es zumindest, ein Jumbojet landen könnte. Am östlichen Rand dieser Ebene erheben sich die felsigen Ausläufer, auf denen die Konkordiahütte steht, die im Laufe der Jahre immer höher und höher rückt. Natürlich sinkt eigentlich die Gletscherebene darunter immer weiter ab, aber der Höhenunterschied wird dadurch immer größer. Seit ich das letzte Mal hier war, ist die Metalltreppe zur Hütte durch eine viel längere und direktere Konstruktion ersetzt worden. Wir treffen auf Menschen, die wegen Schwindelgefühlen gezwungen sind, sich per Karabiner zu sichern. 


Endlich erreichen wir die Hütte. Sie ist voll und wir werden im Winterlager untergebracht. Das ist auch besser so, denn so sind wir aus dem Gedränge heraus und haben sogar ein wenig Platz für uns alleine. Allerdings müssen wir den kurzen, vereisten Weg, der unser Nebengebäude mit dem Haupthaus verbindet, in unseren Crocs meistern - was ganz klar die gefährlichste Passage unserer gesamten Tour ist. Die Sonne scheint und hilft, die Steigfelle, Schuhe und verschwitzten Oberteile zu trocknen. Diese Geruchsmischung ist eine absolute Zumutung und verflüchtigt sich zum Glück spurlos in der dünnen Luft. Wir genießen den immer gleichen Alltag in der Hütte, wo die Zeit unspektakulär dahin plätschert. Es fühlt sich fast wie ein Wartesaal an, in dem es nur um Kleinigkeiten und Grundbedürfnisse geht, vor allem um das Abendessen. Und immer wieder Fotos von der Unermesslichkeit der Landschaft, von den Menschen, von den Details dieses alpinen Mikrokosmos, der so bevölkert und doch so weit weg von allem anderen ist.


Es ist genau diese Unermesslichkeit, die uns am nächsten Morgen auf die Probe stellt. Nachdem wir vorsichtig die Metallleiter herabgestiegen und sehr früh zum Gletscher zurückgekehrt sind, überqueren wir den Konkordiaplatz und begeben uns wieder auf den weiten und fast ebenen Grossen Aletschfirn. 
Eine lange Tour wartet auf uns. Wir gehen mit immer dem gleichen Rhythmus der Schritte in eine präzise Richtung, nämlich zur Lötschenlücke. Einmal mehr wird uns bewusst, dass dies eine der wenigen alpinen Gegenden ist, in der diejenigen, die bereits im Himalaya unterwegs waren, die gleichen Gefühle durchleben: die Erhabenheit, die Weite, die Unerreichbarkeit des Ziels, die kleinen Punkte in der Ferne, die stundenlang Punkte bleiben. Die Gletscher der Jungfrau-Aletsch-Region wirken wie kleine Modelle des eisigen Baltoro-Gletschers oder des großen Khumbu-Gletschers.
So fühlt es sich auch bei der letzten Abfahrt ins Lötschental an - grenzenlos, wie eine Art langsames Erwachen, eine allmähliche Rückkehr in die Zivilisation - bis zu Denis' abschließendem Kommentar: "Das war eine nette Tour, aber beim nächsten Mal bitte mehr Höhenmeter, weniger Kilometer und gerne ein bisschen steiler".
 

Nun sind wir nur noch zu viert und teilen uns weiter auf: Denis und Andrea, die sich nicht entmutigen lassen, beschließen, zum Konkordiaplatz zu gehen, dann weiter zur Grünhornlücke und danach zur Konkordia-Hütte zurückzukehren, während Ruggero und ich mit dem ursprünglichen Plan zufrieden sind, nämlich direkt vom Konkordiaplatz zur Hütte aufzusteigen. Der Konkordiaplatz ist die eisige und sogar deutlich größere Version der Place de la Concorde in Paris, deren Namen er trägt. Es handelt sich um eine riesige weiße, ebene Fläche und ist der Zusammenfluss von fünf Gletschern, auf der, so heißt es zumindest, ein Jumbojet landen könnte. Am östlichen Rand dieser Ebene erheben sich die felsigen Ausläufer, auf denen die Konkordiahütte steht, die im Laufe der Jahre immer höher und höher rückt. Natürlich sinkt eigentlich die Gletscherebene darunter immer weiter ab, aber der Höhenunterschied wird dadurch immer größer. Seit ich das letzte Mal hier war, ist die Metalltreppe zur Hütte durch eine viel längere und direktere Konstruktion ersetzt worden. Wir treffen auf Menschen, die wegen Schwindelgefühlen gezwungen sind, sich per Karabiner zu sichern.

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